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Artikel über Yoga

Die nach und nach erstellten Artikel auf dieser Seite sollen einen Einblick in die Themengebiete des Yoga geben, sie können keine Erarbeitung der hier dargestellten Themen in den Seminaren oder Kursen bei Sahita Yoga oder in anderen Yogaschulen ersetzen.


Agnisāra

Agnisāra oder synonym vahnisāra wird im klassischen Haṭha-Yogatext Gheraṇḍa Saṃhitā erwähnt und erläutert - Kapitel 1, Vers 20, Seite 12f, wir verwenden die Übersetzung von Peter Thomi, Institut für Indologie Wichtrach, siehe unten. Die Sanskritwörter agni und vahni bedeuten Feuer oder auch Verdauungsfeuer. Das Sanskritwort sāra bedeutet Kraft oder Essenz. Mit agnisāra soll unter anderem das Verdauungs"feuer" angeregt werden.

Agnisāra ist eine der 12 dhautis ("Waschungen"), ein Teil der 6 Reinigungsarten des Haṭha-Yoga, der ṣaṭ-karman oder ṣaṭ-kriyā - ṣaṭ heißt 6 und karman bzw. kriyā(s) heißt Handlungen/Verrichtungen/Taten.

In der Gheraṇḍa Saṃhitā heißt es man solle "den Nabelknoten hundertmal an die Rückseite des Meru" versetzen. Gemeint ist ein mehrmaliges kräftiges Anspannen der Bauchmuskulatur, während man in ausgeatmeten Zustand den Atem anhält (mit "leerer" Lunge - ganz leer ist die Lunge nie). Was bei den diversen Beschreibungen selten berücksichtigt wird ist die Rolle des Zwerchfells. Denn nach dem kräftigen Anspannen der Bauchmuskulatur folgt das kraftvolle nach vorn schieben der Bauchdecke - eben durch eine schnelle Zwerchfellanspannung. Normalerweise wird agnisāra im Stehen praktiziert, die Arme stützen auf den Oberschenkeln den leicht nach vorn geneigten Oberkörper.

Die einzelnen Schritte der Praxis (wie es mir mitgegeben wurde, ich es schätze und somit auch weitergebe) sind folgende:

1. Im aufrechten Stand tief einatmen. (Es bietet sich an, vor der Agnisārapraxis kapālabhāti zu praktizieren, um länger und bequemer in der Atempause zu verweilen. Zu kapālabhāti erscheint hier alsbald ein eigener Artikel.)

2. Rasch und vollständig ausatmen, dabei die Arme auf die Oberschenkel stützen, den Oberkörper leicht nach vorn neigen. Am Ende der vollständigen Austamung ist die Bauchmuskulatur maximal angespannt und also nach innen-hinten, Richtung Wirbelsäule gezogen.

3. Atempause mit "leerer" Lunge - ein erstes Nach vorn schieben der Bauchdecke. Funktionelle Anatomie: Das Zwerchfell wird kräftig angespannt, drückt  dabei nach unten in den Bauchraum und verdrängt die Bauchorgane, die bei einem dosierten Nachlassen der Bauchmuskulatur - sie bleibt in unserer Yogatradition dabei immer noch fest - nach vorn gedrückt werden. Anfangs, beim Erlernen dieser Praxis, kann die Bauchmuskulatur auch ganz entspannt werden, doch hat dies eine andere Wirkung (in anderen Yogatraditionen ist diese Entspanntheit der Bauchmuskulatur beim nach vorn schieben obligatorisch).

4. Während der Atem weiter in der Pause mit leerer Lunge gehalten wird, drücken die wieder stärker angespannten Bauchmuskeln die Bauchorgane zurück in die Ausgangsposition (wie am Ende von Schritt 2.), während das Zwerchfell entspannt wird und somit den Bauchorganen nach oben mehr Platz gibt.

5. Wieder das kraftvolle Anspannen des Zwerchfells bei etwas nachlassender Bauchmuskulatur - die Bauchdecke wird nach vorn geschoben.

Dieses Abwechselnde Anspannen von Bauch- und Zwerchfellmuskulatur sollte im Laufe des Erlernens dieser Praxis in einen Sekundentakt übergehen: Bauch nach innen-hinten schieben - 1 Sekunde halten, Bauch nach vorn schieben - 1 Sekunde halten usw. (In anderen Traditionen wird dies teilweise wesentlich schneller praktiziert.) Je nach Kondition und Erfahrung kann dieses Vor und Zurück der Bauchdecke eine halbe Minute oder auch wesentlich länger praktiziert werden. Doch dies soll keinen Leistungsdruck entstehen lassen, sondern nur eine mögliche Aussicht bieten, wohin es gehen kann. Wie immer sollte man sich während und nach der Praxis immer noch auch wohl fühlen, auch wenn es mal intensivere Empfindungen geben sollte. An dieser Stelle sei noch mal betont: im Normalfall besser mit einem damit vertrauten Yogalehrer in diese Praxis einsteigen, als allein experimentieren.

6. Bevor ein regelrechter "Atemhunger" entsteht: mit der Bauchdeckenposition innen-hinten enden und kontrolliert einatmen. Dabei kann man sich wieder aufrichten.

Eventuell mehrmals tief durchatmen, vor allem beim Erlernen der Technik. Dann wieder mit Schritt 1 weiter/erneut praktizieren.

"Hundertmal" meint viele Male - so oft wie es ohne Stress während einer Atempause mit "leerer" Lunge geht. Das sollte dann mehrere Runden hintereinander praktiziert werden. Die oft entstehende Wärmeempfindung ist eine der deutlicheren Erfahrungen des Wirkspektrums dieser Yogatechnik. Sie sollte mit leerem Magen praktiziert werden und es gibt einige Kontraindikationen zu berücksichtigen!

Literatur:

gheraṇḍasaṃhitā, herausgegeben von Peter Thomi, Wichtrach-Verlag, 2006, ISBN 3 7187 0028 X